Die fünf Phasen: Von der Entwicklung der Kinderzeichnung bis hin zur Handschrift

Text und Bild: Astrid Frevel, Dozentin im Fachbereich Ergotherapie

Zeichnungen gehören zur Entwicklung eines jeden Kindes, sie dienen zur Umwelterschließung. Kinderzeichnungen sind eine Verschmelzung von bewusst und unbewusst. Sie sind erste sichtbare Äußerungen und Interpretationen einer erwachenden Persönlichkeit. Der Zeitpunkt der ersten Zeichnungen hängt davon ab,

wie früh dem Kind Stift und Papier angeboten wird und welche Anreize es erhält. Die Lebens- und Berufswelt der Eltern wirkt sich aufgrund des Nachahmungsbedürfnisses stark auf die Entwicklung der Kinder aus. Das äußere Angebot bleibt ungenutzt, wenn die Reifungsprozesse im Gehirn noch nicht entsprechend entwickelt sind.

1. Bewegungs-, Spiel- und Kritzelphase

Der Malstift ist ein Spielgegenstand, der Stift wird erforscht und zufällig wird entdeckt, dass er Spuren hinterlässt. Das Interesse ist geweckt. Die Greifentwicklung ist Grundlage der Malentwicklung.
Ab 1-1,5 Jahren: Der Faustquergriff, mit großen Bewegungen, Schwung- und Streukritzeln.

Ab 2-3 Jahre: Zeigefinger-Quergriff, verbesserte Feinmotorik – Kasten und Raumerfahrung.

2. Assoziationsphase, die Bild- und Deutungsphase

Mitte 3. Lebensjahr: Es werden Dinge im Lebensraum entdeckt, die gemalten Gebilden ähnlich sind. Es wird übertragen und dem Bild eine Bedeutung gegeben, die der Erwachsene nicht unbedingt erkennt. Der Kreis kann eine Sonne, ein Autoreifen oder eine Blume werden. Das Kind deutet im Nachhinein.

3. Phase des kindlichen Realismus, Vorstellung- und Bildererleben

Mehr Wissen über Beschaffenheit und Funktionalität der Gegenstände in der Umwelt verändert das Zeichnen. Fantasie und Veränderungen werden noch spontan miteinbezogen und währen des Zeichnens gedeutet. Die Eltern oder der menschliche Körper werden gezeichnet.

Bis zum 5. Lebensjahr sind Kopf, Gesicht, Beine und Arme wichtig. Ab dem 5. Lebensjahr sollte sich das Kind schon klar entschieden haben, mit welcher Hand es in der Schule schreiben wird.

Motorisch sollte das Kind im 6. Lebensjahr soweit sein, einzelne Elemente bei der Männchenzeichnung zu malen, wie Fingernägel, Zähne und Bauchnabel.

Ab dem 6. Lebensjahr vermischen sich die perspektivischen Ansichten. Es gibt noch keine Blattaufteilung, die gewollt ist. Viele einzelne Dinge werden verstreut über das Blatt gemalt.

Die entwickelte Feinmotorik ist das Grundgerüst für die Grafomotorik und das Schreiben. Bei der Entwicklung der Handschrift steht der Anspruch von Lesbarkeit und Schreibflüssigkeit bzw. -geschwindigkeit im Vordergrund. Das Schreiben lernen ist nicht lediglich ein technischer Fertigungsprozess, sondern ein hochkomplexer psychomotorischer Prozess.

4. Phase: Die entwickelte Feinmotorik

Die Schrift setzt sich aus den Formen Dreieck, Strich, Viereck und Kreis zusammen. Diese Formen sollten im Kindergartenalter vor der Einschulung gekonnt werden. Mit 5 Jahren wird „nachgespurt“- Linien werden nachgefahren. Dabei sind wenige Abweichungen von der Grundlinie zu beobachten.

Hierbei werden verschiedene Systeme des menschlichen Körpers genutzt:

  • Die Körperwahrnehmung (Sehen, Fühlen, Tasten, Gleichgewicht, Hören und Raumwahrnehmung)
  • Die motorischen Fähigkeiten (Haltungsbewahrung, Beweglichkeit, Kraftfähigkeit und Schnelligkeit)
  • Koordination (auditive und visuelle Diskriminierungsfähigkeit, räumliche Orientierungsfähigkeit, Reaktionsfähigkeit)
  • Denken und Psyche (Motivation, Emotionalität, Denk- und Vorstellungsvermögen, Wort-Sinn- Verständnis, Kommunikation, Erinnerungsfähigkeit)

5. Phase des visuellen Realismus, kritisches Sehen beim Malen

Der Schuleintritt lässt andere Ausdrucksmöglichkeiten als Malen möglich (Sprach- und Schreiberwerb, die Auseinandersetzung mit Realität steht im Vordergrund).

Zwischen 8.- 10. Lebensjahr hören viele Kinder mit dem Zeichnen auf, weil die Zeichnungen kritisch betrachtet werden. Die Perspektive kann nicht eingehalten werden. Eine Fläche wird zunehmend als Raum erfasst und das Kind versucht seine Zeichnung der Realität anzupassen.