Dem Alltäglichen eine neue Form geben

Dinge ansprechend, aber nicht extravagant, schlicht, aber nicht langweilig zu gestalten, ist für Designer stets eine Herausforderung. Jasper Morrison ist es mit der Schreibgeräteserie LAMY aion glänzend gelungen.

Ein Gespräch mit Jasper Morrison über die von ihm gestaltete Schreibgeräteserie LAMY aion.

Jasper Morrison ist ein Meister der Zurückhaltung. Wo andere Designer der Versuchung erliegen, auf grelle Effekte setzen oder extravaganten Luxus zu setzen, antwortet er mit wohldurchdachtem Understatement. Dinge, wie er sie schätzt, wollen bewusst nichts Besonderes sein. Ob er Stühle, Hocker oder Leuchten, ob er Handys,

Uhren oder Beistelltische, ob er Busse, Kochtöpfe oder Trinkgläser gestaltet, seine Entwürfe wirken stets so schlicht und selbstverständlich, als hätte es sie schon immer gegeben. Was nicht zuletzt daran liegt, dass er es auf seine hartnäckige Weise versteht, das für den jeweiligen Gegenstand richtige Material zu wählen und an jedem noch so winzigen Detail so lange zu feilen, bis wirklich alles stimmt.

Ein Stift ist ein persönlicher Gegenstand, ähnlich einer Uhr oder einem Kleidungsstück.

Morrison schärft im Design aber nicht nur den Sinn für das – oft anonym gestaltete – „Normale“, indem er die Sucht nach Originalität bekämpft. Er geht einen entscheidenden Schritt weiter. Als „Super Normal“ bezeichnet er Objekte, die ganz bewusst ungekünstelt gestaltet, aber sehr präsent sind, Dinge, die ein ureigenes Auftreten und eine Qualität besitzen, die unsere Sinne wachrüttelt.

Es geht ihm nie darum, etwas nur zu verschönern. Mit einem untrüglichen Gespür für die Bedürfnisse des Nutzers gelingt es ihm immer wieder von neuem, schlichte, aber einprägsame Elemente des alltäglichen Lebens hervorzubringen.

Es sind Gegenstände, die sich nicht vordrängen, aber da sind, wenn man sie braucht, clever durchdachte Dinge für einen fairen Preis, die sich Tag für Tag in der Praxis bewähren und ihre Besitzer oft über einen langen Zeitraum hinweg begleiten.

In diesem Geist hat Jasper Morrison mit LAMY aion eine Schreibgeräteserie aus nahtlos tiefgezogenem Aluminium entwickelt. Schnörkel, Ringe, Applikationen gleich welcher Art sucht man vergebens. Die Schreibgeräte muten so stabil und prägnant an wie ein robustes, aber keineswegs schwerfälliges Werkzeug, das man selbstverständlich zur Hand nimmt, wenn es gebraucht wird.

Eine nahtlose Gestaltung zeichnet die Serie LAMY aion aus.

Wenn mir ein fließendes Schriftbild gelingt, gefällt mir meine Handschrift recht gut.

Wenn Sie etwas entwerfen, wie gehen sie vor? Machen Sie zunächst Skizzen von Hand, Mister Morrison?

JM: Ich fertige viele Skizzen von Hand an, meist mit einem Füller.

Mögen Sie Ihre eigene Handschrift?

JM: Wenn mir ein fließendes Schriftbild gelingt, gefällt mir meine Handschrift recht gut. Ich verfasse nicht viele Briefe oder Texte von Hand, deshalb bin ich immer ein bisschen aus der Übung, doch im Allgemeinen bin ich zufrieden.

Das Schreiben mit Füller, vielleicht sogar Handgeschriebenes generell, ist noch immer umgeben von einer Aura der Authentizität. Was sollte ein Schreibgerät Ihrer Ansicht nach auszeichnen?

JM: Ich denke, ein Stift sollte gut in der Hand liegen und angenehm zu halten sein. Selbstverständlich soll er sich auch durch einen regelmäßigen Tintenfluss auszeichnen und beim Schreiben leichtgängig über das Papier gleiten.

Muss ein Stift zu der Person passen, die ihn verwendet?

Ein Stift ist ein persönlicher Gegenstand, ähnlich einer Uhr oder einem Kleidungsstück. Er sagt etwas über unsere Persönlichkeit aus. Wir sehen es nicht gern, wenn unsere Stifte von anderen benutzt werden. Für den Designprozess bedeutet das, dass wir dem Stift eine bestimmte Identität oder einen besonderen Charakter verleihen müssen.

Lamy hat in den vergangenen 50 Jahren mit vielen bekannten Designern wie Naoto Fukasawa, Mario Bellini, Franco Clivio, Richard Sapper oder Hannes Wettstein zusammengearbeitet. Hat es Sie gereizt, Teil dieser illustren Runde zu werden?

Ich darf mich glücklich schätzen, mich in die Liste so großartiger Designer einreihen zu können!

Haben Sie einen Favoriten im Sortiment von Lamy?

Als langjähriger Lamy-Begeisterter – meinen ersten Lamy-Stift erhielt ich mit vierzehn – verbinde ich gute Erinnerungen mit einigen der ersten Modelle. Mein absoluter Lieblingsstift war wahrscheinlich ein transparenter Füller mit einer Drehmechanik zum Füllen in durchsichtigem Orange und verschiedenen grauen Teilen im Innern. Sein sehr technisch anmutendes Erscheinungsbild war wunderschön, und er verkörperte auf einzigartige Weise meine damalige Vorstellung dessen, was einen Stift ausmachen sollte.

Im Londoner Studio von Jasper Morrison.

Credit: Jasper Morrison Ltd./Nicola Tree

Morrisons Designbüro im Stadtteil Hoxton dient zugleich als Showroom und Concept Store. 

Credit: Jasper Morrison Studio

Ich hatte nicht mit einem derartigen technischen Know-how oder den entspannten Fristen in der Designentwicklung gerechnet.

Sie haben schon für viele Unternehmen gearbeitet. Was hat Sie bei der Zusammenarbeit mit Lamy am meisten beeindruckt?

JM: Ich hatte nicht mit einem derartigen technischen Know-how oder den entspannten Fristen in der Designentwicklung gerechnet.

Sie haben sich schon früh mit der Neubewertung industrieller Prozesse beschäftigt. Wie ist die Idee entstanden, den LAMY aion aus nahtlos tiefgezogenem Aluminium herzustellen?

Ich wollte die Stifte von Anfang an möglichst nahtlos und geschlossen gestalten. Lamy ist es gelungen, unsere Vorstellung hervorragend umzusetzen.

Die Serie gibt es in zwei Ausführungen, in „black“ und in „olivesilver“. Wieso diese beiden Farben?

Sie passen hervorragend zur Designsprache von Lamy, und die radial gebürstete Oberfläche verleiht ihnen ein elegantes, satiniertes Erscheinungsbild.

Für Jasper Morrison ist gutes Design maximal einfach – und maximal funktional.

Credit: Alexander Sander

Haben Sie persönlich eine Lieblingsausführung beim 
LAMY aion?

JM: Ich mag beide Varianten. Zurzeit verwende ich das Modell in „olivesilver“.

Wie schaffen Sie es, Dinge immer wieder schlicht und fast zeitlos wirken zu lassen?

JM: Für mich ist das die einzige Möglichkeit, ein gutes Design zu schaffen.
Ein Design, das kein schlichtes Gesamtbild abgibt, kann kein zufriedenstellendes Endergebnis sein.

Hat Ihre Perspektive auf ein am Gebrauch orientiertes Gestalten, die Sie vor Jahren unter dem Titel „Super Normal“ zusammen mit ihrem japanischen Kollegen Naoto Fukasawa entwickelt haben, bei der Arbeit an der Schreibgeräteserie für Lamy eine Rolle gespielt?

JM: Ja, bis zu einem gewissen Grad wird jedes Design durch das „Super Normal“-Konzept beeinflusst, auch wenn ich mir erst nach einer gewissen Nutzungsdauer sicher sein kann, dass es dem Konzept tatsächlich gerecht wird.

Ist ein Füller für Sie vor allem ein Werkzeug?

JM: Er ist ein Werkzeug und gleichzeitig etwas viel Persönlicheres. Ich habe ungefähr 19 Jahre lang nicht mit Füller geschrieben und erst seit ich wieder einen benutze, wird mir klar, wie viel befriedigender der Schreibprozess dadurch ist.

Ein Design, das kein schlichtes Gesamtbild abgibt, kann kein zufriedenstellendes Endergebnis sein.

Die Fragen stellte Thomas Wagner.