Ein Gespräch mit Beate Oblau und Marco Achenbach

Wie kann sich eine Marke wie Lamy weiterentwickeln, die in über fünf Jahrzehnten eine feste Identität herausgebildet hat? Wie sehr kann, wie sehr darf sie sich verändern? Ein Gespräch über Innovation, Werteverbundenheit und Wandlungsfähigkeit.

„not just a pen“ – unter diesem Leitgedanken hat sich Lamy in den letzten Jahren neu positioniert und weiterentwickelt. Wie steht es um dieses Credo?

Beate Oblau: Mit „not just a pen“ haben wir 2016 im Grunde einen Veränderungsprozess in Worte gefasst, der uns bereits seit Langem begleitet und noch immer anhält. Wir leben in einer Zeit, in der die Handschrift eine andere Rolle einnimmt als noch vor 15 oder 20 Jahren. Von uns als Marke erfordert dieser Wandel, dass auch wir uns weiterentwickeln und unser Selbstverständnis mit dem Zeitgeist abgleichen.

Was bedeutet das konkret?

BO: Für Lamy bedeutet es, dass ein Schreibgerät heute mehr sein kann – vielleicht auch sein muss – als nur ein Schreibgerät. Digitale Technologien haben das Schreiben effizient gemacht und die Handschrift auch aus manchen Lebensbereichen verdrängt. Viele schicken heute zum Beispiel keine Postkarten mehr aus dem Urlaub, sondern eine Nachricht aufs Smartphone.

Macht uns das als Schreibgerätehersteller Angst? Ich glaube, dass es dazu keinen Grund gibt, und unsere Entwicklung bestätigt das. Die Digitalisierung hat das Schreiben von Hand vielleicht seltener gemacht – aber Seltenes ist umso wertvoller.
Und das gibt auch dem Schreibgerät einen neuen Stellenwert. Es wandelt sich, zumindest in manchen Lebensbereichen, von einem Gebrauchsgegenstand zu einem Luxusobjekt. Oder auch zu einer Art Accessoire, mit dem wir unserer Individualität und unserem Lebensstil Ausdruck verleihen.

Marco Achenbach: In der Tat stellen wir fest, dass trotz der Allgegenwart von Tablets und Smartphones die Nachfrage nach Schreibgeräten keineswegs nachlässt. Im Gegenteil, wir erleben sogar ein gesteigertes Bewusstsein für Qualität, für hochwertige Materialien und außergewöhnliches Design, wenn es um das Schreiben von Hand geht. Das war für uns ausschlaggebend für die Entscheidung, das Angebot von Lamy im gehobenen Segment zu stärken.

Ein Vorstoß ins Luxussegment? In welcher Form macht sich das bemerkbar?

MA: In erster Linie bietet uns das Luxussegment die Möglichkeit, Materialien und Prozesse einzusetzen, die uns im günstigeren Bereich normalerweise verwehrt sind. Das eröffnet uns natürlich ganz neue Gestaltungsmöglichkeiten. In diesem Jahr bringen wir mit dem LAMY imporium Lx und dem LAMY studio Lx all black zum Beispiel zwei bekannte Modelle in einer neuen, besonders hochwertigen Edition heraus.

Was macht diese Sondermodelle so außergewöhnlich?

MA: Es sind vor allem die hochwertigen Veredelungen, die hier den Unterschied zur Standardausführung machen. Beim LAMY studio Lx all black sind alle glänzenden Attribute durch eine PVD-Beschichtung realisiert worden. Das macht sie zum einen sehr widerstandsfähig und führt zudem zu außergewöhnlicher Farbtiefe. Beim Modell LAMY imporium Lx sind die Gehäuseteile zuerst mit Reinsilber beschichtet und anschließend mit einem klaren Tauchlack galvanisch veredelt worden. Die Attribute sind in Platin oder Roségold beschichtet.

Die Digitalisierung hat das Schreiben von Hand vielleicht seltener gemacht – aber Seltenes ist umso wertvoller.

Zusammenspiel der Edelmetalle: Der Korpus des LAMY imporium Lx rose ist mit Reinsilber beschichtet und galvanisch veredelt, die Attribute in Roségold.

Verraten Sie uns, was sich hinter dem Namenszusatz Lx verbirgt?

BO: Lx steht für „Luxus“ und „luxuriös“, aber auch für ein Produktversprechen, das Lifestyle (L) und das Streben nach dem Besonderen (x) verkörpert. Das Merkmal Lx tragen nur Produkte, die gegenüber ihrer Standardausführung aufgewertet sind, etwa durch Edelmetallbeschichtungen oder andere besonders hochwertige Veredelungen. Wir planen, dieses Prinzip in Zukunft auch auf weitere Modellreihen auszuweiten.

Die Designphilosophie von Lamy ist allgemein eher durch Funktionalität und Understatement geprägt – eine Haltung, die man bisher kaum mit Luxus in Verbindung gebracht hat ...

MA: Lamy hat schon immer auch sehr hochwertige Schreibgeräte im Portfolio gehabt; man denke an Modelle wie den LAMY 2000, LAMY dialog 3, LAMY scala oder LAMY imporium. Aber es stimmt, dass ein Großteil unserer Produkte einen sehr demokratischen Ansatz vertritt. Lamy steht für herausragendes Design, das funktional, beständig und in vielen Fällen auch für die meisten erschwinglich ist. Dieses Verständnis bleibt durch die Lx-Editionen im Grunde unberührt, da sie eben Sondereditionen sind. Sie ersetzen unser Kernportfolio nicht, sondern ergänzen es.

BO: Und das auf eine Weise, die sogar sehr gut zu unserer Designphilosophie passt. Es ist ein Missverständnis, dass Lamy-Design nur funktional, nüchtern oder gar rational ist. Tatsächlich haben wir in unserem internen Gestaltungsregelwerk seit jeher festgeschrieben, dass zu unseren Produkten immer auch eine emotionale, sinnliche Komponente gehört.

MA: Die grundlegende Formgebung ist immer der Funktionalität verpflichtet und beruht auf überzeitlichen Gestaltungsprinzipien – etwa dem Goldenen Schnitt oder der symmetrischen Orientierung. Daneben gibt es aber immer Spielraum für etwas, das wir „dynamische Innovation“ nennen. Hier kommen außergewöhnliche Materialien und Farben ins Spiel, aber auch besondere Details, wie zum Beispiel der gedrehte Clip des LAMY studio. Genau dieses Zusammenspiel aus formaler Strenge und Innovation macht die Faszination Lamy aus.

Kommen wir noch einmal auf das Thema Luxus zurück. Was bedeutet Luxus aus der Sicht von Lamy?

BO: Luxus kann sehr viele Dimensionen haben, die keineswegs mit dem reinen Wert einer Sache zu tun haben. Auch eine besonders anspruchsvolle technische Lösung, die auf den ersten Blick gar nicht ersichtlich ist, kann dem Nutzer etwas Luxuriöses vermitteln. Ich denke da zum Beispiel an unseren Taschenkugelschreiber LAMY pico. Ein kleines Objekt, das bescheiden daher kommt, tatsächlich aber eine wahnsinnig raffinierte Technik hat und dadurch unglaublich angenehm in der Handhabung ist. Solche Details stellen nach unserem Verständnis durchaus eine Form von Luxus dar. Aber auch die Verarbeitung, die Materialien, die Haptik – all das sind Details, die letztlich das Erleben eines Produkts prägen und besonders machen. Das ist Luxus.

Wir beobachten, dass solche Qualitäten, die schon immer Teil der Marken-DNA von Lamy gewesen sind, heute wieder zunehmend mehr Wertschätzung genießen. Das mag auch damit zu tun haben, dass unser Leben heute sehr von Technik geprägt ist. Das hat in allen Lebensbereichen große Fortschritte gebracht, uns aber auch ein Stück weit von dem entfremdet, was uns als Menschen ausmacht. Deshalb suchen wir im Alltag nach Dingen, die uns in gewisser Weise erden, die unsere Sinne ansprechen. Schöne, anfassbare Objekte wie ein Schreibgerät gehören dazu.

Genau dieses Zusammenspiel aus formaler Strenge und Innovation macht die Faszination Lamy aus.

LAMY studio Lx all black

Denken wir noch 10, 20 Jahre voraus – welche Entwicklung sagen Sie der Handschrift voraus?


MA: Wenn ich bedenke, dass Kritiker schon seit Jahrzehnten immer wieder den Abgesang auf die Handschrift anstimmen, blicke ich der Zukunft sehr gelassen entgegen. Denn was ist seitdem passiert? Nichts, die Handschrift ist und bleibt ein geschätztes Medium, das viele heute noch einmal ganz neu für sich entdecken. Denn der Nachteil der Handschrift ist zugleich ihre ganz große Stärke: Die Langsamkeit, die ja heutzutage auch ein seltener Luxus geworden ist. Schreiben von Hand hat eine meditative Komponente.

BO: Es hat aber auch ganz handfeste Vorteile, zum Beispiel, wenn es ums Lernen und Verarbeiten von Informationen geht. Es gab da vor ein paar Jahren mal eine Studie der Princeton University und der University of California Los Angeles. Dort wurde gezeigt, dass Studenten tatsächlich effizienter lernen, wenn sie in der Vorlesung handschriftliche Notizen machen, statt auf dem Laptop mitzutippen. Warum? Weil die Langsamkeit sie zwingt, das Gehörte zu komprimieren, zu paraphrasieren. Dadurch setzen sie sich schon beim Zuhören intensiv mit den Inhalten auseinander. Tippen dagegen verleitet dazu, wörtlich mitzuschreiben – häufig ohne das Gesagte tatsächlich wahrzunehmen.

Außerdem ist unser visuelles Gedächtnis mit dem motorischen Gedächtnis verknüpft. Deshalb merken wir uns Dinge besser, wenn wir sie mit einer Bewegung verbinden, wie sie beim Schreiben stattfindet. Deshalb ist es auch für Kinder so ungemein wichtig, die Handschrift zu erlernen, wofür wir uns insbesondere im deutschsprachigen Raum deshalb stark einsetzen. Digitalisierung hin oder her – unsere Gesellschaft wäre doch verrückt, würde sie eine so wertvolle Kulturtechnik wie die Handschrift freiwillig aufgeben.

Gibt es Themen und Innovationsfelder, die bei Lamy in Zukunft besonders im Fokus stehen?

MA: Wir sind verliebt in den Füllhalter und glauben unvermindert an seinen Reiz und seine Inspiration für den Nutzer. Das treibt uns an, weiter an der Realisierung von herausragendem Design zu arbeiten. Dabei sehen wir, wie gesagt, gerade im Luxussegment besonderes Potential für Lamy. Neben dem analogen Schreiben beschäftigen wir uns aber auch mit den Möglichkeiten des digitalen Schreibens.

Denn der Nachteil der Handschrift ist zugleich ihre ganz große Stärke: Die Langsamkeit, die ja heutzutage auch ein seltener Luxus geworden ist. Schreiben von Hand hat eine meditative Komponente.

Können Sie dazu schon mehr verraten?

MA: Nur soviel, dass Lamy sich dem Thema intensiv widmet und – wie immer – nach der bestmöglichen Lösung sucht.